Wenn Sichtbarkeit zum Nachteil wird: Fauve Lex über Stigma und Stärke |
![]() Tattoos gehören längst zur modernen Körperkultur. Sie erzählen Geschichten, markieren Wendepunkte und sind Ausdruck von Persönlichkeit. Trotzdem erleben viele von Euch, die tätowiert sind, im Alltag noch immer Ablehnung oder Misstrauen. Warum ist das so? Und was braucht es, damit sich diese Sichtweise endlich wandelt? Wir haben mit Fauve Lex gesprochen – Tätowiererin, Künstlerin und öffentlich bestellte Gutachterin für Tattoo-Schäden. Ihr persönlicher Werdegang zeigt, wie tief verwurzelt die Stigmatisierung von Tattoos noch immer ist. Was war für Sie ein Schlüsselmoment?Fauve schildert einen Schlüsselmoment, der Euch wahrscheinlich bekannt vorkommt. Gemeinsam mit ihrem Mann wollte sie ein Haus mieten. Alles lief zunächst reibungslos, die Vermieter waren begeistert. Beim zweiten Treffen allerdings, diesmal im T-Shirt, änderte sich die Stimmung schlagartig. Ihre Tattoos wurden sichtbar, und plötzlich kamen Zweifel auf. Die Vermieter wollten plötzlich ihre alte Wohnung sehen – ohne wirklichen Grund. Ein klares Zeichen dafür, dass sichtbare Tattoos bei vielen Menschen noch immer mit negativen Vorstellungen verknüpft sind. Obwohl Fauve freundlich, professionell und etabliert auftrat, reichte ihr äußeres Erscheinungsbild aus, um Misstrauen zu wecken. Warum halten sich Vorurteile so hartnäckig?Viele von Euch fragen sich vielleicht, warum Tattoos trotz ihrer Beliebtheit noch immer stigmatisiert werden. Laut Fauve liegt das an den tief verwurzelten Bildern in unserer Gesellschaft. Über Jahrzehnte hinweg galten Tattoos als Zeichen von Kriminalität, Rebellion oder Außenseitertum. Diese Assoziationen verschwinden nicht über Nacht, auch wenn Influencer, Promis und Werbekampagnen längst andere Bilder zeigen. Das Problem: Viele Menschen haben wenig echten Kontakt zu stark tätowierten Personen in verantwortungsvollen oder vertrauenswürdigen Rollen. Was man nicht kennt, wird schneller verurteilt. Und obwohl Tattoos heute Ausdruck von Kunst, Identität oder sogar Heilung sein können, fehlt es oft an Verständnis. Gibt es einen Unterschied in der Wahrnehmung?Besonders spannend ist der Unterschied in der Wahrnehmung zwischen Männern und Frauen. Bei Männern gelten Tattoos häufig als cool oder stark. Bei Frauen hingegen schlägt die Bewertung oft in eine ganz andere Richtung um. Begriffe wie „zu auffällig“ oder „nicht feminin genug“ fallen offen oder im Stillen. Fauve erzählt, wie sie als Frau in einer Fachrolle – sei es als Künstlerin oder Sachverständige – doppelt geprüft wird. In konservativen Berufsfeldern gelten sichtbare Tattoos bei Frauen häufig noch als Makel. In kreativen Berufen hingegen sind sie fast schon ein Qualitätsmerkmal. Die Branche, aber auch das Geschlecht spielen eine große Rolle. Wie solltet Ihr mit Vorurteilen umgehen?Fauves Rat an Euch: Bleibt ruhig, aber klar. Ihr müsst Euch nicht rechtfertigen, aber Ihr könnt aufklären. Sprecht über Eure Erfahrungen, erklärt die Bedeutung Eurer Tattoos und zeigt Haltung. Humor kann helfen, aber auch sachliche Argumente. Wichtig ist, nicht in Verteidigung zu verfallen, sondern mit Selbstbewusstsein aufzutreten. Denn nur wenn Ihr Vorurteile benennt, können sie hinterfragt werden. Wer Tattoos trägt, trägt laut Fauve auch eine gewisse Verantwortung, am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen. Das bedeutet nicht, ständig zu erklären – aber präsent zu sein und nicht klein beizugeben. Mehr Normalität, weniger DramaWas sich Fauve für die Zukunft wünscht, ist vor allem eins: Normalität. Tattoos sollten keine Diskussion mehr auslösen – weder im Bewerbungsgespräch noch auf Elternabenden oder bei der Wohnungssuche. Sie sollten Teil des Alltags sein, so wie Kleidung, Frisuren oder Hobbys. Natürlich braucht es auch Sichtbarkeit und Aufklärung. Gerade weil es in der Tattoo-Welt auch problematische Entwicklungen gibt, etwa mangelnde Hygiene oder riskante Trends. Doch all das sollte auf sachlicher Ebene diskutiert werden – ohne moralischen Zeigefinger. Euer Körper, Eure EntscheidungLasst Euch nicht in Schubladen stecken. Zeigt Euch, sprecht offen über Eure Erfahrungen und helft mit, ein neues Bild von tätowierten Menschen zu prägen: als verantwortungsvoll, kreativ, reflektiert und stark. Denn am Ende zählt nicht die Tinte auf der Haut, sondern der Mensch dahinter.
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